Er leitete die Massenproteste gegen Hartz IV – Leipzigs vielfacher Demo-Organisator Winfried Helbig ist tot

Er leitete unter anderem die Massenproteste gegen Hartz IV, gegen den Irak-Krieg der USA und auch gegen rund ein Dutzend Aufzüge des Neonazis Christian Worch. Leipzigs vielfacher Demo-Organisator Winfried Helbig ist verstorben. Auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle in Wahren setzte das Herz des 73-Jährigen aus.

Viele Fotos zeigten Winfried Helbig mit einem Megafon in der rechten Hand. „Aufschließen! Bitte schliiiiießt auf, keine großen Lücken lassen“, rief der Mann mit der krausen Löwenmähne unzählige Male an der Spitze von Demonstrationszügen durch das Megafon. Niemand sonst hatte in der Zeit nach der Jahrtausendwende so viele große Protestaktionen in Leipzig angemeldet und organisiert wie er.

Ob es gegen den Irak-Krieg ging, gegen die Aufmarsch-Versuche des Neonazis Christian Worch oder gegen soziale Missstände durch Hartz IV – Helbig gelang es immer wieder, tausende Menschen auf der Straße zu vereinen. Angefangen hatte alles mit einer Mahnwache für den Frieden zu Weihnachten 2002 im Nikolaikirchhof. Damals drohte US-Präsident George W. Bush junior mit einem Feldzug gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein.

Zehn Leute bei erster Mahnwache

Die Pfarrer Friedrich Schorlemmer und Christian Führer hatten diese Mahnwache initiiert. An dem kalten Feiertag beteiligten sich „alles in allem so zehn Mann“, erzählte Helbig später. Anfangs sei er lediglich der Anmelder solcher Aktionen bei den Behörden gewesen. Doch jeden Montag folgten eine neue Mahnwache und das Friedensgebet in der Nikolaikirche. Jeden Montag kamen mehr Leute. Nach zehn Wochen nahmen 30.000 Menschen an einer Demonstration gegen den Irak-Krieg teil, nach elf Wochen 45.000.

Der anfangs in der PDS aktive Helbig wurde so zum überparteilichen Demo-Organisator. Und er gefiel sich wohl auch in dieser Rolle. „Die Leute brauchen ein Podium, um ihre Gedanken und Ängste auszudrücken“, sagte er mal. Während die Proteste gegen Neonazi Worch letztlich Erfolg hatten, legte Helbig im August 2004 sein Amt als Chef der Massenproteste gegen Hartz IV nieder. Obwohl sie gerade ihren Höhepunkt mit zehntausenden Teilnehmern erreichten. Er sei „nicht bereit, die Montagsdemos zur Bühne für innerparteiliche Auseinandersetzungen der SPD werden zu lassen“, lautete seine Begründung für den Schritt. Dahinter steckte ein Streit um die Frage, ob Oskar Lafontaine bei einer Demo gegen Sozialabbau auf dem Augustusplatz sprechen darf. Helbig wollte keine Berufspolitiker auf dem Podium.

Arbeitslosigkeit und ABM-Stellen

Geboren am 1. Mai 1950 in Leipzig machte er zu seinem beruflichen Werdegang nur vage Angaben. Er sei gelernter Rinderzüchter, habe als Zootierpfleger und Fachschullehrer gearbeitet. Und: Er habe zu DDR-Zeiten etwas studiert, was nach dem Ende der DDR nicht mehr gefragt war. Stattdessen folgten Arbeitslosigkeit, ABM-Stellen und eine Umschulung.

Helbig versuchte dennoch stets, Optimismus zu verbreiten. Eine Demo sei kein Trauerzug, lautete da sein Motto. Gewaltfreiheit war ihm oberstes Gebot. Er liebte ausgiebiges Philosophieren, Wortwitz, filterlose Zigaretten und Espresso. 2006 geriet er noch mal in den Fokus überregionaler Medien, weil er sich gemeinsam mit den Pfarrern Christian Führer und Christian Wolff besonders für zwei Leipziger Ingenieure einsetze, die im Irak als Geiseln entführt worden waren. Wieder gab es jeden Montag Mahnwachen im Kerzenschein. Trotz massiver Drohungen, sie zu enthaupten, kamen die Geiseln nach 99 Tagen wie durch ein Wunder (und vermutlich auch durch ein Lösegeld der Bundesregierung) frei.

Im Alter zunehmend heimatlos

„Er war ein kluger Kopf, sehr belesen, aber auch zunehmend ein bisschen heimatlos“, sagt der frühere Thomaskirchen-Pfarrer Christian Wolff. Unter anderem wegen dem Tod seiner Ehefrau nach einer schweren Erkrankung habe sich Helbig mehr und mehr aus dem Demo-Geschehen zurückgezogen, zudem selbst vor Jahren einen Schlaganfall erlitten. Auch aus Kostengründen fuhr der Mann mit dem langen Ledermantel in Leipzig und einem Umkreis von 80 Kilometern fast immer mit dem Fahrrad. Vor wenigen Tagen schaltete sich das Herz des 73-Jährigem auf dem Weg zu einem Mini-Job in Wahren, mit dem er seine karge Rente aufbesserte, für immer aus.